Das Pferdegebiss setzt sich im Backenbereich in der Regel aus jeweils zwei mal sechs Backenzähnen im Ober- und Unterkiefer sowie unter Umständen Wolfs- und Hengstzähnen zusammen. Im Frontbereich besitzen Pferde im Ober- und Unterkiefer jeweils sechs Schneidezähne, die sich vom Backenzahnbereich durch eine zahnfreie Leiste absetzen, in der das Trensengebissstück beim Reiten liegt.
Im Gegensatz zu den Zähnen des Menschen besitzen die Pferde schmelzfaltige Zähne, die lebenslang aus dem Knochen herausschieben um den durch Abbeißen und Zermahlen der Nahrung entstehenden Abrieb auszugleichen (ca. 3 Millimeter pro Jahr).
Wolfszähne sind die eigentlich ersten Backenzähne des Pferdes. Im Laufe der Evolution wurden sie jedoch überflüssig und immer kleiner. Nicht bei jedem Pferd sind sie heute noch vorhanden. Bei entsprechender genetischer Veranlagung brechen sie in der Regel innerhalb der ersten 18 Lebensmonate durch das Zahnfleisch oder bleiben von ihm bedeckt in Form einer Wulst vor dem ersten "echten" Backenzahn (sog. blinde Wolfszähne).
Da diese Backenzahnrudimente im Bereich des Trensengebisses liegen und deshalb beim Reiten zu Schmerzen führen können, sollten die Wolfszähne vor dem Anreiten entfernt werden.
Durch unser modernes Krippenfutter und die in Mitteleuropa relativ weichen Gräser auf den Weiden kann keine physiologische Abnutzung der Zahnsubstanz mehr stattfinden. Die Schneidezähne werden beim Grasen nicht mehr gekürzt und dadurch zu lang, denn selbst das Abreißen des Grases kann alleine mit den Lippen und ohne Einsatz der Schneidezähne erfolgen und so findet ein Abrieb nicht mehr statt.
Der Kontakt der Backenzähne beim Kauen kann in der Folge nur noch durch übermäßigen Einsatz der Kau- und anhängenden Muskulatur erfolgen. Es kommt zu fehlerhaften und erhöhten punktuellen Belastungen der Backen- und Schneidezähne und außerdem zu scharfen Zahnkanten, die massive Verletzungen (Ulcerationen) der Backenschleimhaut hervorrufen können. Hier einige Eindrücke von einem besonders schweren Befund:
Die typischen Befunde im Backenzahnbereich wie Wellen- und Scherengebiss, Haken, Rampen und scharfe Kanten werden nicht zuletzt durch die Problematik der zu langen Schneidezähne verstärkt und zum Teil auch erst hervorgerufen. Weiter verschärft wird die Situation ausserdem durch die Tatsache, dass die Köpfe unserer Reitpferde im Zuge der Zucht immer filigraner werden (insbesondere bei Arabern und Reitponies).
Man kann sich gut vorstellen, dass die Mechanik des Kauvorgangs durch solche Verformungen erheblich gestört wird. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die Überlastung des Kiefergelenks und der anhängenden Strukturen wie Wirbelsäule, Rücken- und Halsmuskulatur. Verspannungen und Blockaden in diesem Bereich resultieren letztendlich in Schonhaltungen.
Dass all diese Probleme neben dem Wohlbefinden auch die Rittigkeit und Leistungsfähigkeit unseres Sport- und Freizeitpartners beeinflussen, liegt auf der Hand. Auch deshalb ist, genau wie der regelmäßige Besuch des Hufschmieds, die jährliche Kontrolle durch den Zahnspezialisten ein Muss, zumal eine verlässliche Eigenkontrolle durch den Laien ohne spezielle Ausrüstung und Kenntnisse nicht möglich ist.
Vorsicht! Pferde sind Fluchttiere. Das Einstellen der Nahrungsaufnahme würde in freier Wildbahn sofort die Fluchtfähigkeit und damit die Überlebenschancen reduzieren. Erst drastische mechanische Störungen beeinflussen das Fressverhalten. Ein für den Besitzer wahrnehmbares Problem (z.B. Wickel- oder Röllchen-Kauen) zeigt sich meist erst, wenn bereits massive Veränderungen vorliegen.
Dieser Patient fraß gut, lediglich das Abbeißen von Äpfeln bereitete ihm Schwierigkeiten. Im Bild zu erkennen ist eine Fehlbildung des dritten Schneidezahns im linken Unterkiefer.
Hier zu erkennen: eine massive Hakenbildung des ersten Backenzahns im linken Oberkiefer. Auch dieses Pferd war im Fressverhalten unauffällig und zeigte auch beim Reiten keine Auffälligkeiten. Wäre hier keine Korrektur erfolgt, hätte der Zahn im Verlauf der nächsten Jahre den Unterkiefer penetriert.
Ein Wildpferd kommt zwar ohne Zahnbehandlung aus, allerdings frisst es Zeit seines Lebens karges, silikathaltiges und deshalb äußerst reibungsintensives Steppengras. Seine Ernährung ist damit nicht mit der eines heutigen Hauspferdes - egal ob Boxen- oder Koppelhaltung - zu vergleichen.
Nicht vergessen darf man auch, dass ein modernes Hauspferd ein weitaus längeres Leben hat als ein Wildpferd und somit schleichende Zahnprobleme weit mehr zum Tragen kommen. Darüber hinaus wird ein in freier Wildbahn lebendes Tier bei mangelnder Nahrungsaufnahme ohnehin schnell Opfer eines Raubtiers.
Die Frage, ob eine Sedierung für die Behandlung wirklich nötig ist, kommt immer wieder auf, auch weil einige Behandler mit einer scheinbar besonders schonenden Zahnbehandlung ohne Sedierung werben. Hierzu sei folgendes gesagt:
Dass ein Pferd im allgemeinen Umgang brav ist, ist im Übrigen kein Argument gegen eine Sedation. Auch viele Menschen sind beim Zahnarzt angespannt und reagieren mit ungewollten Ausweichbewegungen. Beim Tier, für das die Behandlungssituation immer ungewohnt ist, sind entsprechende Reaktionen da nur allzu verständlich.
Weitere Informationen rund um den Pferdezahn finden Sie zum Beispiel auf den Seiten der IGFP.